Vielen dürften die „Straßen- und Brückenkarten“ der Bundeswehr bekannt sein. Hier konnte man Angaben zum Leistungsvermögen, der Tragfähigkeit und den baulichen Gegebenheiten von Straßen- und Brücken entnehmen.
Etwas ähnliches gab es bei den Dezernaten Eisenbahn der Verkehrskommandanturen für das Schienennetz. Hier spielte vor allem die Ladeleistung der Bahnhöfe eine entscheidende Rolle, also die Frage wie viele Züge dort innerhalb 24 Stunden entladen werden konnte. Maßgeblich dafür waren Art, Tragfähigkeit und Anzahl der Laderampen, Anzahl und Länge der Ladegleise, Zufahrtsmöglichkeiten für LKW, aber auch die Gleisführung im Bahnhofsbereich hinsichtlich Kreuzungs- und Überholverkehr.
Die hohe Bedeutung der Eisenbahn für das Militär hinsichtlich Aufmarsch und Anschlussversorgung wird immer etwas verdrängt.
Im Anhang stelle ich eine solche Eisenbahnkarte für die Region nordostwärts München – Raum Landshut nebst Legende ein. Vier interessante Bereiche habe ich gelb markiert:
1. Auf der Strecke Mühldorf – Wasserburg – Rosenheim sehen wir südwestlich Waldkraiburg den Vermerk „Technische Unterbrechung zwischen Innbrücke Nord u. Innbrücke Süd“. Die Karte dürfte etwa aus dem Jahr 1985 stammen. Damals war die Innbrücke der genannten Bahnstrecke bei JETTENBACH wegen Baufälligkeit gesperrt, was zu merkwürdigen Verkehrsabläufen führte. Der Personenzug (meistens rote Uerdinger-Schienenbusse) fuhr bis zum Brückenkopf, hielt an, die Passagiere stiegen aus und marschierten zu Fuß über die Brücke bis zum jenseitigen Ufer. Dann folgte der leere Schienenbus im Schritt-Tempo und sammelte seine Fahrgäste wieder ein. Güterverkehr über diese Brücke gab es schon nicht mehr, wenig später fuhren zwischen Waldkraiburg und Wasserburg nur noch Busse.
Nach Tschernobyl im Mai 1986 wurde diese Strecke beiderseits der stillgelegten Jettenbacher Brücke zum Abstellen von Güterwaggons mit verstrahltem Milchpulver genutzt.
Die Bahn hatte beantragt, die Strecke Wasserburg – Mühldorf komplett stillzulegen. Hier legte allerdings die Bundeswehr ein Veto an, weil man diese Strecke unbedingt als Ost-Umgehung Münchens und als zweite Strecke nach Niederbayern halten wollte. Also musste die Jettenbacher Brücke völlig neu gebaut werden, gleiches traf auch auf die zweite Innbrücke bei Teufelsbrück (nördlich von Wasserburg) zu, die ähnlich marode war.
So ist es also die Bundeswehr zu verdanken, dass es immer noch eine direkte Bahnverbindung von Mühldorf über Wasserburg nach Rosenheim entlang des Inns gibt.
2. Im Westen im Münchner Norden sehen wir den Bahnhof MÜNCHEN-MILBERTSHOFEN mit dem Vermerk „Anschlußgleis Bw- Nord“. Das war der Bahnhof des sog. „Virginia-Depots“, des ehemaligen Heeres-Hauptverpflegungsamtes München, genutzt von der Bundeswehr als Materialdepot und Mobilmachungsstützpunkt. Aus der Legende kann man als Leistungsbeschreibung für diesen Bahnhof entnehmen: 2/60 – S/60 mit der Leistungsklasse II. Es gab hier also 2 Kopframpen mit 60 t Tragfähigkeit, die gleichzeitig als Seitenrampen mit der gleichen Tragfähigkeit dienen konnten. Der Bahnhof Milbertshofen Nord hatte die Leistungsklasse II, es konnten hier innerhalb von 24 Stunden 5 „Normzüge“ entladen werden. Dieser Normzug wurde mit einer Zuglänge von 550 m und einem Gewicht von 1500 t angesetzt.
3. Nordostwärts davon der wichtige Kreuzungsbahnhof LANDSHUT mit der Kategorisierung 1/60 – S/60 Z und der Leistungsklasse III. Landshut hatte nur 1 Kopf-/Seitenrampe mit 60 t Tragfähigkeit. Da der Bahnhof aber über ein ausgedehntes Gleisnetz verfügte, wurde er trotz der wenigen Laderampen in die Kategorie III (mehr als 5 Züge in 24 Stunden) eingestuft. Da in Landshut große Teile der PzBrig 24 und der HSchBrig 56 mit mehreren PzBtl, einem PzArtBtl und der Stabskompanie, also einer hohen Anzahl von Kettenfahrzeug lagen, wurde im Bahnhof noch eine besondere Aufstellmöglichkeit für eine zerlegbare Kopframpe (ZKR) geschaffen. ZKR konnten zwar grundsätzlich überall eingesetzt werden, wo es entsprechende Zufahrtsmöglichkeiten gab, zur Schonung des Gleisbetts waren aber besondere Gleise, die vor einem Prellbock endeten, nützlich.
4. Das Gegenbeispiel haben wir einige Kilometer südlich in ERDING-Flgh, kategorisiert mit 6/60 – 4S/60 und Leistungskategorie I. Das war der Bahnhof der Bundeswehr im Fliegerhorst Erding, ein Versorgungszentrum der Luftwaffe. Hier haben wir 6 Kopframpen, teilweise kombiniert mit Seitenrampen, dazu noch 4 gesonderte Seitenrampen und trotzdem nur Kategorie I, also nur 2 Züge in 24 Stunden. Der Grund lag in der Anlage des Bahnhofs. Das war damals ein Kopfbahnhof, der keine eigenen Ladegleise und keine Ausweichmöglichkeiten hatte. Wenn also Züge an den Rampen standen, war der Bahnhof „zugefahren“, die Züge mussten erst wieder auf die freie Strecke gezogen werden und erst wenn diese wieder frei war, konnten neue Züge in den Bahnhof einfahren.