In den digitalisierten Beständen des Bundesarchivs-Militärarchiv sind auch die Kriegstagebücher des Führungsstabes des Heeres zur Besetzung der CSSR 1968 verfügbar. Besonders interessant dazu sind die Anlagebände zum Kriegstagebuch, hier sind Meldungen, Befehle und Entscheidungsgrundlagen ab dem 21.08.1968 gesammelt. Beim Lesen dieser Dokumente vor dem Hintergrund der derzeitigen Ereignisse in der Ukraine und den aktuellen Feststellungen zum Zustand der Bundeswehr bin ich schnell zu der Erkenntnis gelangt, dass es anscheinend nichts Neues unter der Sonne gibt. Die Bundeswehr hatte 1968, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, ähnliche Probleme wie heute:
Zu wenig Geld, zu wenig Waffen und Gerät, zu wenig Munition, nicht einsatzbereites Gerät, zu wenig oder das falsche Personal und eine überbordende Bürokratie.
Ich werde mal einige Dokumente aus der „heißen Phase“ im August 1968 hier bereitstellen, jeweils mit einigen Kommentaren vor dem Hintergrund heute vorliegender Erkenntnisse.
Beginnen möchte ich mit einer offenbar am 23.08.1968 erarbeiteten chronologischen Darstellung der Lageentwicklung, erstellt anhand von Pressemitteilungen. Die roten Markierungen sind von mir.
Bereits um 03:45 Uhr erklärt das WBK VI (Bayern), das keine besonderen Maßnahmen für die Bundeswehr angeordnet seien. Hier wäre interessant zu wissen, wer das von sich gegeben hat – vor allem, wenn offenbar diesselbe Person gleichzeitig erklärt, das man von einem Einmarsch in die CSSR noch gar keine Kenntnis habe.
Um 06:30 Uhr verkündet der Sprecher des BMVtg, die Bundeswehr sei von den Vorgängen in der CSSR nicht allein betroffen und man werde sich so verhalten wie die übrigen NATO-Bündnispartner. Auch wieder eine inhaltslose Floskel, ohne die NATO waren damals noch viel weniger wie heute entscheidende Maßnahmen zur Verteidigung möglich, da immer noch große Teile des Besatzungsstatus galten.
Um 08:04 Uhr leiten die bayerischen Landkreise an der tschechischen Grenze Vorbereitungen zur Flüchtlingsaufnahme ein. Hier ging es um die damaligen Landkreise Rehau, Wunsiedel, Tirschenreuth, Neustadt a.d.Waldnaab, Vohenstrauß, Oberviechtach, Waldmünchen, Kötzting, Regen, Grafenau und Wolfstein. Offenbar gab es also 1968 in Bayern eine zumindest in Ansätzen funktionierende „Zivilverteidigung“ mit entsprechenden Alarmplänen.
Um 09:42 meldete dpa: Nach Berichten von Reisenden 3 km östlich Grenzübergang Waidhaus Panzer der SBZ. Waidhaus war der damalige Grenzübergang an der B 14 der Strecke Nürnberg – Pilsen, Autobahn gab es noch keine. Bemerkenswert an dieser Meldung sind zwei Dinge:
- Der normale Reiseverkehr lief relativ ungehindert weiter, das blieb auch an den Folgetagen weitgehend so
- Mit SBZ = Sowjetische Besatzungszone war im damaligen Sprachgebrauch die DDR gemeint. Bereits wenige Stunden nach Beginn der Aktion werden also angeblich Panzer der NVA an der Grenze CSSR – BRD gesichtet. Jetzt kann man natürlich skeptisch ein, ob der Reisende überhaupt in der Lage ist, einen NVA-Panzer von einem russischen Panzer zu unterscheiden. Wir werden aber in den Meldungen der Folgetage schnell sehen, dass sich der Einsatz einer größeren Anzahl von NVA-Truppen in der CSSR bestätigt und das auch die Einheiten ermittelt werden konnten. Das widerspricht der in der neueren Literatur vertretenen Behauptungen, das keine geschlossenen Einheiten der NVA bei der Aktion 1968 dabei gewesen wären.
Ab 09:58 Uhr trifft Österreich notwendige Sicherheitsmaßnahmen, Teile des Bundesheeres wurden an die tschechische Grenze verlegt.
Um 10:22 Uhr teilt die 7. (US) Armee mit, das die US-Truppen nicht in besonderer Alarmbereitschaft sind.
Fortsetzung folgt.