Ich lese zur Zeit wieder mal das sehr interessante und unbedingt empfehlenswerte Buch von Sönke Neitzel „Deutsche Krieger – Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte“.

Dort erwähnt der Autor auf S. 699 in der Anmerkung 359 folgenden, mir bisher unbekannten Sachverhalt:

1964 wurde über das Auswärtige Amt die Überlegung an das BMVg herangetragen, zwei türkische Divisionen in die Bundesrepublik zu verlegen. Die deutschen Militärs lehnten das vehement ab, „da die Eingliederung in einen deutschen Korpsverband erhebliche sprachliche und psychologische Probleme nach sich ziehen würde. Ein Großverband mit 15.000 Soldaten fremder Nationalität (mohammedanischen Lebensgewohnheiten) dürfte im deutschen Bereich zu Unzuträglichkeiten führen.
(Als Quelle zitiert Neitzel: Fü B III 1, vom 7.3.1964, Bundesarchiv-MA, BW 2/50052)

Hintergrund, war, das die Bundeswehr 1964 noch keinesfalls voll einsatzfähig war. Bei objektiver Betrachtung war z.B. noch keine der 12 Divisionen des Heeres wirklich voll aufgestellt, von anderen Mängeln ganz zu schweigen. Gleichzeitig kamen aber aus den Reihen der Verbündeten, vor allem Frankreichs, der USA und Großbritanniens Überlegungen, ihre Truppenpräsenz in Deutschland zu verringern.

Die zitierte Stellungnahme der Bundeswehrführung kann man jetzt meiner Meinung nach aus verschiedener Sicht betrachten.

A)
Ende 1964 gab es in der Bundesrepublik bereits etwa 85.000 türkische Gastarbeiter, die damals nicht besonders auffielen.

Die bisherigen deutschen Erfahrungen in der militärischen Zusammenarbeit mit türkischen Truppen waren zwar schon einige Jahrzehnte alt, waren aber im Großen und Ganzen sehr positiv verlaufen.

Bereits im Ersten Weltkrieg standen türkische Großverbände jahrelang unter deutschem Kommando.
Die erfolgreiche Verteidigung der Dardanellen (Gallipoli) 1915/1916 gegen angelandete britische, französische und australische Truppen erfolgte durch die 5. Osmanische Armee. Hier standen etwa 315.000 türkische und wenige hundert deutsche Soldaten unter dem Kommando des preußischen Generals Liman von Sanders. Als Folge dieser alliierten Niederlage musste u.a. Churchill als Erster Lord der Admiralität zurücktreten. Gallipoli gilt als eine der ganz wenigen Schlachten, in der eine Landarmee auf Dauer einem gemeinsam von Heer und Marine geführten Angriff standhalten konnte.

Auch bei der im Frühjahr 1916 stattfindenden Schlacht von Kut-el-Amara am Tigris standen große Teile der osmanischen Truppen unter dem Befehl des preußischen Generals Colmar Freiherr von der Goltz. Hier wurden britische Truppen monatelang eingeschlossen und erlitten eine empfindliche Niederlage.

An der Ostfront kämpfte ab Sommer 1916 das osmanische XV. Armeekorps im Rahmen der deutschen „Südarmee“ gegen russischen Truppen und trug zur Stabilisierung der Front nach der Brussilow-Offensive bei. Die Südarmee und damit auch die türkischen Soldaten unterstanden damals dem bayerischen Generaloberst von Bothmer.

Weitere türkische Großverbände, die von deutschen Generälen zwischen 1914 und 1918 befehligt wurden, waren:
- die Heeresgruppe „Jildirim“ in Syrien und Palästina
- die 3. Armee in Thrazien
- die 6. Armee im Irak und Persien
- die 8. Armee in Palästina

Es gab also genug Beispiele, das türkische Soldaten sehr wohl erfolgreich von deutschen Kommandeuren geführt werden konnten.


B)
Andererseits befürchtete man 1964, dass von 30.000 Soldaten, die sich weitgehend in ihren Kasernen aufgehalten hätten, erhebliche Probleme ausgehen würden. Und das, obwohl die türkische Armee seit ihrem Einsatz im Koreakrieg in der NATO in jeder Hinsicht als höchst diszipliniert galt.

Heute dagegen meint man von Seiten weiter politischer Kreise, dass hunderttausende von als Asylanten einreisende Zuwanderer integriert werden können.
Irgendwie war man 1964 realistischer - aber wie gesagt, nur meine persönliche Meinung.